Familienunterstützender Dienst – Entlastung, Verständnis und Vielfalt

[21.10.2025] Familien mit autistischen Angehörigen leisten Tag für Tag Beeindruckendes. Sie begleiten ihre Kinder, Jugendlichen oder erwachsenen Angehörigen mit Geduld, Struktur und viel Herz. Unser Familienunterstützender Dienst (FUD) hilft dabei, diesen Alltag zu entlasten – durch Begleitung, Freizeitgestaltung, Unterstützung im Haushalt oder einfach durch Dasein und Zuhören.

Doch Entlastung bedeutet für uns mehr als nur praktische Hilfe. Es geht auch darum, Verständnis zu schaffen – für die unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten und Bedürfnisse von Menschen im Autismus-Spektrum. Dazu gehört, Vielfalt zu sehen und anzuerkennen: in der Art zu denken, zu fühlen – und auch in der geschlechtlichen und sexuellen Identität.

Um dieses Verständnis weiter zu vertiefen, nahm kürzlich eine unserer Mitarbeiterinnen an einer besonderen Fortbildung teil, die sich mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt bei Kindern und Jugendlichen mit ASS beschäftigte. Ihr Bericht zeigt eindrucksvoll, wie wichtig dieses Wissen für unsere tägliche Arbeit ist.


Eine Fortbildung der FBA zur sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt bei Kindern und Jugendlichen mit ASS

(Ein Erfahrungsbericht einer Mitarbeiterin)

„Woher wissen Sie, dass Sie ein Mann oder eine Frau sind?“
Martina Steinhaus, Diplompsychologin, Psychotherapeutin und zert. Autismustherapeutin stellt diese Frage und die Fortbildungsgruppe reagiert nachdenklich. „Ich spüre das einfach.“ „Ich fühle mich männlich.“ „Ich orientiere mich an Frauen als Rollenvorbilder.“ Der Gruppe fällt es schwer, die richtigen Worte zu finden. Denn sachliche Argumente sind gefragt, aber alles, was in den Sinn kommt, hat mit Intuition und Gefühlen zu tun. Martina Steinhaus erklärt, dass sich neurotypische Menschen meist auf ihre Intuition verlassen (können), während Menschen im Autismus Spektrum ihre emotionale Kognition als weitaus weniger verlässlich empfinden. Viele stünden eben am Morgen nicht auf und hörten von ihrem Bauchgefühl: „Du bist ein/e Frau/Mann und findest Männer/Frauen anziehend.“ Geschlechterrollen sind gesellschaftlich konstruiert. Neurotypische Menschen saugen die entsprechenden Informationen, die ihr Umfeld ihnen bietet, ganz von selbst von Geburt an auf und integrieren sie in ihre Bezugssysteme. Menschen im Autismus Spektrum scheinen da bewusster vorzugehen und eignen sich oft eine skeptischere Haltung zu Geschlechterstereotypien an. Gesellschaftliche Normen scheinen weniger wirkmächtig zu sein. Martina Steinhaus weist auf Ergebnisse von Studien hin, die dies untermauern:

  • Menschen im Autismus Spektrum beschreiben sich im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung häufiger als nicht-heterosexuell (Frauen signifikant häufiger als Männer)
  • Die Diagnose Geschlechtsdysphorie [Wenn die Geschlechtsinkongruenz bei dem Menschen zu einem enormen Leidensdruck führt; Geschlechtsinkongruenz: ausgeprägte und beständige Nichtübereinstimmung zwischen dem erlebten und dem bei der Geburt zugewiesenem Geschlecht] tritt sig. häufiger bei Menschen mit der Diagnose ASS auf
  • Autistische Personen bezeichnen sich Vergleich zu nicht autistischen Personen häufiger als transgeschlechtlich oder berichten von gendervariantem Erleben.
    (Quelle: FBA online, 05.09.25)

Gender Diversity ist also an vielen Stellen eng mit dem Thema Autismus verwoben. Ich bin dankbar für die tiefen Einblicke in das Thema und fühle mich neu sensibilisiert. Als Mitarbeiterin von Autismuszentrum Vogtland e.V. möchte ich Teil des Schutzraumes für neurodiverse und neurodivergente Menschen sein und für eine professionelle und akzeptierende Haltung für LGBTIQ+ werben.

Mirjam Mühlig


Vielfalt annehmen – Menschen stärken

Im Familienunterstützenden Dienst bedeutet „Hilfe“ nicht nur, den Alltag zu erleichtern, sondern auch, Räume für Akzeptanz und Verständnis zu schaffen. Jede Begegnung ist anders, jede Lebensgeschichte einzigartig.

Unsere Mitarbeitenden möchten Familien begleiten – mit Respekt, Offenheit und Sensibilität für Themen, die oft unausgesprochen bleiben. So entsteht ein Umfeld, in dem sich Menschen sicher fühlen dürfen – unabhängig davon, wie sie denken, fühlen oder leben.

Vielfalt ist keine Ausnahme. Sie ist Teil unseres Miteinanders.